Nidda-Stausee: „Mauer kann nicht weggespült werden“

Neues Format: Bei der Dorf-Talk-Premiere in Rainrod steht Talsperrenmeister Armin Hudetz Rede und Antwort. Dabei hat er viele Infos über und rund um den See parat.
 
 
RAINROD – Es war an einem Freitagabend nach zehn Uhr. Hans-Georg Lippert saß gerade im Wohnzimmer auf der Couch und schaute Fernsehen. Freitagabend? Natürlich Talk-Show-Time. Auch Hans-Georg sah sich eine dieser vielen Gesprächsrunden an, in der die Moderatoren besondere Gäste einladen, um mit ihnen über deren Geschichten oder ein Thema zu reden, das mit diesen eng verbunden ist. Noch während Lippert zuschaute, dachte er: „Das muss doch nicht immer im Fernsehen sein, das geht doch bestimmt auch live. Auch in Rainrod und Umgebung gibt es viele Menschen mit interessanten Geschichten.“ Und wer Hans-Georg Lippert, den Vorsitzenden des Kulturrings Rainrod, kennt, der weiß, dass es bei ihm nicht nur beim Denken bleibt. Lippert ist ein Macher, er packt an. Seine Gedanken gingen weiter: Talk-Show, eine Gesprächsrunde in Rainrod? Warum eigentlich nicht? Geht vielleicht auch kleiner, einfach ein Gespräch zwischen Moderator und Gast im Dorf, genauer im Bürgerhaus, also ein Dorf-Talk. Die Idee war geboren. Nach einer gewissen Vorbereitungszeit saßen sich jetzt erstmals Hans-Georg Lippert als Moderator und Armin Hudetz, Talsperrenmeister am Nidda-Stausee, im Bürgerhaus gegenüber.
Hudetz ist zuständig für alles, was mit dem Stauwerkbau zu tun hat wie beispielsweise die Wasserabgabe oder die Messeinrichtungen des Stauwerks, ebenso für den Bereich neben und unter der Wasseroberfläche. Zudem bietet Hudetz regelmäßig Führungen durch den Staudamm an. Seine Aufgaben orientieren sich überdies an dem Wasserwirtschaftsplan für die Talsperre. Armin Hudetz‘ Vater, ein gelernter Schiffsbauingenieur, war der erste Stauseewärter der Niddatalsperre. Seit 1998 ist Armin Hudetz der zuständige Staumeister.
 
 
Wie kam die Idee zum Bau der Niddatalsperre? Im Gespräch zwischen Lippert und Hudetz wurde klar, dass dieses Vorhaben einen längeren Reifungsprozess durchlief. Mit ein Auslöser für die Entscheidung dafür war das Jahrhunderthochwasser, das am 23. Dezember 1967 die Einwohner von Rainrod heimsuchte. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es aufgrund häufiger Überschwemmungen von Feldern und Wiesen an der Nidda die ersten Pläne dafür. Von 1888 bis etwa 1959 bestand die Eisenbahnlinie bis Schotten. Nach deren Aufgabe gründete sich der Wasserverband Nidda, und die Planungen wurden aufgenommen.
Der Nidda-Stausee, von 1968 bis 1970 errichtet, diene neben den touristischen und ökologischen Aspekten im Besonderen dem Hochwasserschutz und der Niedrigwasseranreicherung in der Nidda. „Es ist schon erstaunlich, dass mit den im Vergleich zu heute noch relativ einfachen Baumaschinen und -fahrzeugen innerhalb von nur zwei Jahren der Stausee gebaut werden konnte“, sagte Hudetz.
Ein Problem sei es anfangs gewesen, den Stauseeboden dicht zu bekommen, da das Vulkangestein sehr wasserdurchlässig sei. Abhilfe konnte damals mit Lehm aus dem benachbarten Gierbachtal geschaffen werden. Lehm habe eine starke Dichte. Heutzutage verwende man zur Abdichtung des zerklüfteten Stauseegrunds ein Zement-Bentonit-Gemisch, das durch Injektionsarbeiten in den Boden eingebracht werde und dauerhaft abdichte.
 
 
Der Stausee habe ein Fassungsvermögen von sieben Millionen Kubikmetern, dessen Erstellung habe ungefähr 13,8 Millionen Mark gekostet. Die geplante Eicheltalsperre im Gebiet zwischen Eichelsachsen und Eichelsdorf hätte doppelt so groß werden sollen. Letztlich wurde aber ein Rückhaltebecken vor Eichelsdorf errichtet.
Die Arbeiten rund um den Stausee im Rahmen des Hochwasserschutzes seien sehr komplex, alles müsse ständig überwacht werden. „Ich lese viel darüber. Zum Beispiel bei dem aufgrund der Sanierungsarbeiten an der Staumauer notwendig gewordenen Wasserablassen im letzten Jahr konnte ich nicht nur einmal schnell den Stöpsel ziehen“, sagte der gelernte Maschinenbautechniker. Da stecke etwas mehr dahinter.
Unterhalb der landseitigen Dammböschung befindet sich im Auslauf eine Messstrecke, um die Fließgeschwindigkeit des ablaufenden Wassers zu überprüfen. Dass diese möglichst nicht zweckentfremdet werden sollte, hatte auch Lippert schon vor Jahren selbst erfahren. „In der Nähe der Messstrecke fand ein Grillnachmittag statt. Um das mitgebrachte Bier zu kühlen, kam ich als junger Mann auf die Idee, die Kästen einfach in den Wasserablauf vom Stausee zu stellen“, so Lippert. „Die Folge war, dass die Messdaten über den Wasserabfluss wesentlich beeinträchtigt wurden – und mein Vater damals wegen dieses Vorfalls zur Rede gestellt wurde.“
„Der Stausee dient neben dem Hochwasserschutz auch als Naherholungsgebiet und zur Förderung des Tourismus, aber was noch wichtiger ist: Er lebt!“, sagte Armin Hudetz. Im Stausee tummelten sich viele Fischarten. Inseln mit Pfählen und sogenannte im Boden verankerte Laichpyramiden aus Zweigen und Gehölz als Schutz vor Fressfeinden seien im vergangenen Jahr während der „wasserfreien“ Sanierungszeit im Schutzgebiet des Stausees geschaffen worden, um die Lebensbedingungen für die Fische zu verbessern. „Mit einer Talsperre sind nicht nur technische Aufgaben zu erfüllen. Eine wichtige Aufgabe ist es auch, biologische Diversität zu schaffen, indem wir uns um die Fische kümmern, Insekten schützen durch die Schaffung von Blühstreifen, einfach etwas für die Natur tun. Ökologisch sind wir mit dem Nidda-Stausee auf einem sehr guten Level.“
Probleme für das natürliche Gleichgewicht könnten entstehen etwa durch ausgesetzte amerikanische Krebse, die die vorhandenen Edelkrebse verdrängten. Oder durch Springkraut, das einige bereits vorhandene Pflanzen gefährde. Am oberen Ende des Stausees, am angrenzenden Teich, hätten sich auch Biber und Nutrias niedergelassen, die man tagsüber aber kaum zu sehen bekäme. Biber ernährten sich von allen möglichen Gehölzen, die dabei teilweise auch zerstört würden. Wie sich im Nachhinein zeige, war es die richtige Entscheidung, trotz der Staudammsanierung nicht alles Wasser abzulassen, so Hudetz. Es seien so gut wie keine Fische verendet „und das ökologische Gleichgewicht konnte erhalten werden“.
Der Stausee sei für 200-jährigen Hochwasserschutz geschaffen worden. „Solche Schutzeinrichtungen sind für unsere Kulturlandschaften sehr wichtig“, ergänzte Hudetz. „Kann die Staumauer brechen?“ lautete die anschließende Frage von Lippert. „Nein. Die Mauer wurde so gebaut, dass sie durchströmbar ist, aber sie kann nicht weggespült werden“, so die Antwort von Hudetz.
„Die Stadt Frankfurt braucht 50 Millionen Kubikmeter Wasser. Wenn der Stausee voll ist, umfasst er 7 Millionen Kubikmeter Wasser. Aus dem Vogelsberg werden 35 Millionen Kubikmeter Wasser nach Frankfurt geliefert. 15,2 Millionen Kubikmeter Wasser fließen jährlich durch den Stausee“, sagte Hudetz. Um die Zwischenräume im Basalt mit Wasser zu füllen, benötige der Vogelsberg die Schneeschmelze. Da aber die Winter in den letzten Jahren immer wärmer würden, laufe nicht mehr genügend Wasser in die Bodenzwischenräume in der Oberwaldzone. „Obwohl es in unserer Gegend viel regnet, kann das Grundwasser knapp sein, weil das Wasser zu schnell fließt“, ergänzte Hans-Georg Lippert. Laut Hudetz wurden im letzten Jahr mehrere Grundwassermessstellen am Stausee eingerichtet. Sie gäben auch Aufschluss über die Dichtigkeit des Bodens. Anhand des Bildes über den Inhalt eines Bohrkerns konnte man sehen, dass sich im Stauseeboden über einer 11 Meter langen Basaltschicht, die wasserdurchlässig ist, eine abdichtende Schlämmschicht aus Asche befindet.
Ein „Rundflug über den See“, ein Film, der vom Wasserverband Nidda zur Verfügung gestellt und von Hans-Georg Lippert vertont wurde, zeigte abschließend Aufnahmen vom Stausee „ohne Wasser“ während der Sanierungsarbeiten. Ein weiterer Dorf-Talk-Termin soll im nächsten Jahr folgen.